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Wo ist Milka?

Zum Einsatz der Tiergestützten Intervention (TGI) in der Psychiatrie der Kliniken im Theodor-Wenzel-Werk

Ein Interview mit Kathrin Wachholz, Fachkraft für Tiergestützte Intervention

09.07.2021 | Allgemein
Hündin Milka und Kathrin Wachholz liegen zusammen im Gras und schauen sich an

In der Behandlung psychisch kranker Patient*innen ist die tiergestützte Intervention (TGI) in den Kliniken im Theodor-Wenzel-Werk (TWW) zu einem festen Bestandteil geworden. Seit Juni 2019 wird sie mit einer Vollzeitstelle von Kathrin Wachholz angeboten, die 2020 eine Weiterbildung zur „Fachkraft für tiergestützte Intervention“ an der Alice-Salomon-Hochschule absolvierte. Kathrin Wachholz ist ausgebildete Pflegefachkraft und seit Oktober 2000 in der Psychiatrischen Abteilung der Kliniken im TWW beschäftigt.

Im folgenden Interview gibt Kathrin Wachholz einen persönlichen Einblick u. a. in ihren Arbeitsalltag mit der Hündin Milka, die Ziele der Tiergestützten Intervention und berührende Momente zwischen Milka und Patient*innen.

Frau Wachholz, bei „Milka“ denken sicher viele zuerst an die Schokolade. Wie ist denn der Name für Ihren Hund zustande gekommen?

Kathrin Wachholz: Milka ist eine schokobraune Labradorhündin, da lag es sehr nahe, dass wir sie „Milka“ nennen, wie die Schokolade. Außerdem ist das für die Patienten leicht zu merken.

Wie kam es dazu, dass sie Ihre Hündin Milka in Ihre Arbeit auf einer psychiatrischen Station einbinden konnten?

Kathrin Wachholz: Zuerst wurde mit dem TWW abgesprochen, ob es möglich wäre, überhaupt mit einem Hund in den Kliniken zu arbeiten. Aber das war niocht so problematisch und nach der Genehmigung habe ich dann den Hund ausgesucht und seit März 2018 kann ich mit Milka im TWW arbeiten. Zu dem Zeitpunkt war sie neun Wochen alt, sie ist quasi in der Klinik großgeworden. Wir konnten so ihre Sozialisierungsphase nutzen, um sie sehr frühzeitig an die Begebenheiten, Umstände und Leute in einem klinischen Umfeld zu gewöhnen.

Das TWW ist mit dieser Therapieform quasi einzigartig.

In dieser Form wird eine derartige, therapeutische Unterstützung in Kliniken übrigens noch kaum durchgeführt, sodass das TWW damit quasi einzigartig ist. Mehrere Leute waren und sind in dieses Thema involviert. Zum Beispiel arbeite ich mit unserer leitenden Psychologin Dr. Sabine Hoffmann eng zusammen und auch Nadine Aicher, die stellvertretende Pflegedienstleiterin, trug maßgeblich zur Umsetzung bei.

Auf wie vielen Stationen sind Sie inzwischen mit Ihrer Hündin Milka unterwegs?

Kathrin Wachholz: Angefangen haben wir im geschützten Bereich, also in der Akutpsychiatrie. Milka ist dort, auf Station 4, quasi großgeworden. Relativ schnell wurde es mir dann ermöglicht, dass ich 50 % meiner Arbeitszeit ausschließlich mit Milka ausführen konnte. Seit dem stehen wir Patient*innen auf allen Stationen im Haus zur Verfügung. Mittlerweile wurde mir eine Vollzeitstelle für die TGI gewährt.

War eine Ausbildung für den Hund notwendig?

Kathrin Wachholz: Eine Ausbildung zum Therapiehund ist nicht zwingend notwendig, weil man dem Hund die vorauszusetzenden Wesenszüge, die er haben muss, um seinen Job gut zu machen, nicht wirklich anerziehen kann. Wichtige Voraussetzungen sind, dass der Hund möglichst angstarm und kontaktfreudig ist, gerne mit Menschen zusammen arbeitet und ein festes Wesen hat. Das kann nicht in einer Hundeschule antrainiert werden.

Eine gute Therapiehund- Ausbildung bildet eigentlich eher den Halter aus. Dabei wird man, um ein Beispiel zu nennen, darauf geschult, wie man bei einem Hund erkennt, dass er Stress hat und was man machen kann, um den Hund aus solchen Situationen herauszuholen. Die Standardkommandos, wie „Sitz! Platz! Bleib!“, kann man in einer normalen Hundeschule lernen, beziehungsweise sich selber beibringen.

Das heißt, nur Sie mussten eine zusätzliche Ausbildung absolvieren.

Kathrin Wachholz: Genau. 2008 habe ich eine Hundetrainerausbildung gemacht, ohne den Vorsatz, damit Geld verdienen zu wollen, nur aus eigenem Interesse. Im November 2018 begann ich eine Fachweiterbildung für Tiergestützte Intervention an der Alice-Salomon-Hochschule. Bei dieser berufsbegleitenden Fachweiterbildung wird man darauf geschult, wie man vernünftig tiergestützt arbeitet, das Tierwohl immer im Blick behält, aber auch welche Möglichkeiten es gibt, mit Klient*innen zu arbeiten.

Welche Ziele werden mit der Tiergestützten Therapie verfolgt?

Kathrin Wachholz: Das ist unterschiedlich und vom Krankheitsbild, den Beschwerden und Problemen abhängig. Das große Ziel der TGI ist aber, die „gesunden Anteile“ und individuellen Ressourcen der Klient*innen zu fördern, zu stärken und zu festigen.

Der zuständige Arzt notiert zunächst auf einem Anordnungsbogen, welche Diagnose der Patient hat und welche Probleme er sieht, an denen wir anknüpfen können. Dann spreche ich zuerst einmal mit den Patient*innen und wir filtern gemeinsam heraus, was sie / er gerne intensiver bearbeiten möchte. Auch in diesem Erstgespräch wird der Fokus auf die Ressourcen gelegt.

Wir können aber auch dafür sorgen, dass sich die Patienten öffnen, auch dem Therapeuten gegenüber.

Wir haben die Möglichkeit, Bindungs- und Beziehungsarbeit zu leisten, Achtsamkeits- und Konzentrationsübungen oder Selbstbewusstseinstraining durchzuführen. Manchmal sind es aber auch einfach nur “Grübel- oder Psychopausen“, wie ich es gerne nenne, für Patient*innen, die sich den ganzen Tag mit ihren Problemen befassen, und so einfach eine halbe Stunde abschalten können und an nichts denken müssen. Wir können aber auch dafür sorgen, dass sich die Patient*innen öffnen, auch den Therapeutinnen gegenüber. Dabei wird der Hund als „Türöffner und Brückenbauer“ eingesetzt.

 

Wie unterstützt Milka Sie dabei, Erfolge zu erzielen?

Kathrin Wachholz: Milka ist einfach, wie sie ist: authentisch, kontaktfreudig und lustig. So kann sie allein mit ihrer Anwesenheit und ihrer Art und Weise helfen und Freude bereiten. Die Patient*innen sind dadurch schon viel entspannter, kontaktbereiter und kommen auch mit anderen Menschen mehr in Kontakt. Kommandos, die man mit ihr üben kann, wie Sitz, Platz, Bleib oder high five sind eigentlich nur nettes Beiwerk. Milka ist einfach nur Milka.

 

Wie reagieren die Patient*innen, wenn sie zum ersten Mal mit Milka in Kontakt kommen?

Kathrin Wachholz: Der größte Teil, ich würde durchaus sagen 90 %, sind begeistert und freuen sich, wenn sie Milka sehen. Da schiebt dann zum Beispiel plötzlich eine Frau, die am Rollator läuft, ihren Rollator beiseite, geht in die Hocke und begrüßt Milka, obwohl sie gerade erst aus der Schmerztherapie kommt. Ungefähr 5 % sind ein wenig vorsichtig, skeptisch oder unsicher. Es gibt aber auch ein paar, die ängstlich sind und nichts mit dem Hund zu tun haben wollen. Ein kleiner Teil von den ängstlicheren Patient*innen nutzt aber durchaus die Therapie mit Milka als eine Möglichkeit, Ängste zu überwinden und meldet sich freiwillig für diese Therapieform an, um die eigenen Unsicherheiten loszuwerden. Das klappt bisher auch ganz gut.

Hündin Milka gibt Kathrin Wachholz Pfötchen

Es kommt also auch häufiger vor, dass sich das Verhältnis von Patient*innen zu dem Hund im Laufe der Therapie sichtlich verbessert.

Kathrin Wachholz:Genau. Da gehen wir ganz behutsam vor, sodass die Patient*innen und der Hund langsam eine Bindung und Vertrauen aufbauen. Darüber können die Patient*innen auch wieder Selbstsicherheit gewinnen. Sobald sie bemerken, dass es gar nicht so schlimm ist wie befürchtet, und sie ihre Ängste überwinden konnten, fühlen sie sich gleich viel besser. Wenn man dann plötzlich jemanden wie selbstverständlich mit dem Hund an der Leine durch den Park laufen sieht und beide eine Einheit bilden, wobei die Patient*in wenige Wochen vorher noch eine Heidenangst hatte, kann man das schon als einen großen Fortschritt sehen.

Welche Erfolge können Sie noch bei Ihren Patient*innen beobachten?

Kathrin Wachholz: Es gibt viele kleine, sehr schöne Beispiele, bspw. wenn ein Schmerzpatient sagt, ihm ginge es gut, weil seine Rückenschmerzen besser seien, was wahrscheinlich einfach nur daran liegt, dass er sie in der Zeit, in der er mit Milka zusammen ist, vergisst. Oder auch, wenn Patient*innen Emotionen zeigen, anfangen, aus Rührung zu weinen oder zu lachen, was sie vorher nicht getan haben.

 

Gab es auch schon einen ganz besonderen Moment oder Erfolg, mit dem Sie anfangs gar nicht gerechnet hätten?

Kathrin Wachholz: Eine Sache ist mir ganz speziell in Erinnerung geblieben. Es gab einmal eine chronisch schizophrene Patientin auf der geschützten Station, die kein Wort mehr gesprochen, sich komplett aus jeglichem Kontakt zurückgezogen, niemanden an sich rangelassen und in ihrem Bett vergraben hat. Der zuständige Psychologe hatte damals bei mir angefragt, ob wir es versuchen könnten, durch Milka einen Zugang zu der Patientin zu schaffen, was wir natürlich gemacht haben. Als wir ins Zimmer kamen, lag die Patientin in ihrem völlig verwahrlosten Bett, selbst auch etwas ungepflegt aussehend, mit der Decke über dem Kopf. Sie hat Milka gesehen, die ist zu ihr aufs Bett gesprungen und daraufhin hat die Patientin vor Freude angefangen zu weinen, Milka gefüttert, angefangen mit ihr zu sprechen und war mit einem mal wieder aktiv und auch emotional da/anwesend. Das war ein sehr, sehr schöner Moment.

Das Interview führt Claudia Noack, Leiterin der Unternehmenskommunikation im TWW.