Hinter den Kulissen
Die Digitalisierung ist seit Jahren ein fester Bestandteil in unserem Leben. Auch und vor allem im Berufsleben ist die Arbeit ohne Computer und der Verbindung zum world wide web kaum noch möglich oder vorstellbar. Selbst in den patientennahen Berufen werden digitale Medien immer unabdingbarer, der Ruf nach mehr Nachhaltigkeit und Datenschutz einerseits und weniger Papier andererseits hallt durch alle Abteilungen, bzw. durch das gesamte Unternehmen.
Die IT-Abteilung des TWW arbeitet daher seit Langem daran, vor allem die Klinik technisch auszustatten.
Das umfangreichste und langwierigste Thema ist mit Sicherheit die Einführung des neuen Krankenhausinformationssystems (KIS) in der Klinik. Ein Interview mit der Projektsteuerungsgruppe um Alexander Heidemann (Leitung IT), Thomas König (Stellvertretende Leitung IT), Madeleine Klimczak (Projektmanagement TWW) sowie Mario C. Birr (Kaufmännische Leitung TWW) zu diesem Mammut-Projekt und seinen Herausforderungen.
THEO: Das Krankenhausinformationssystem (KIS) ist seit Jahren ein fester Bestandteil in den Kliniken im TWW. Könnt ihr bitte kurz einen Einblick über die Wichtigkeit und die Aufgaben dieses Instrumentes geben?
Alexander Heidemann: In Krankenhäusern und Kliniken müssen eine Vielzahl von medizinischen und administrativen Daten verwaltet und gesammelt werden. Innerhalb einer Einrichtung nutzt man dazu das sogenannte Krankenhausinformationssystem (KIS). Das KIS dient dem schnellen Austausch von Informationen zwischen den verschiedenen Berufsgruppen. Stammdaten, medizinische- bzw. therapeutische Leistungen, Krankheitsdaten aber auch Abrechnungsdaten werden im KIS erfasst und sind direkt von entsprechenden Stationen und Abteilungen
abrufbar und erweiterbar. Anwender:innen sparen durch den Einsatz eines KIS viel Zeit. Im Ergebnis sollen sowohl Behandlungsabläufe als auch administrative Aufgaben schneller vonstattengehen.
THEO: Es wurde entschieden, den Anbieter des KIS zu wechseln und die Firma Dedalus mit der Implementierung des neuen Systems zu beauftragen. Was sind die Gründe für den Anbieterwechsel?
Mario C. Birr: In der Vergangenheit wurden immer wieder Erweiterungsvorhaben, wie z. B. Fieberkurve, Medikation und digitale Pflegeplanung, in unserem bisherigen KIS CGM medico besprochen. Dies endete in einem konkreten Kundenentwicklungsplan, der das Vorgehen für die nächsten fünf Jahre aufzeigte. Nach intensiven Gesprächen mit der Firma CGM lagen uns mehrere Angebote für neue Module und Erweiterungen vor. Besonders problematisch war dabei die Realisierung der Pflegediagnosen. Leider wurden unsere Erwartungen in diesem Kontext nicht erfüllt und die Kosten waren insgesamt zu hoch.
Thomas König: Folglich wurde eine Marktsondierung mit den anderen vier Großanbietern (Telekom, Nexus, Dedalus, Meierhofer) durchgeführt. Hier hatte sich schon abgezeichnet, mit wem wir zukünftig zusammenarbeiten wollten. Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) und die staatliche Sonderförderung boten uns die Möglichkeit, Sondermittel für die Finanzierung es neuen KIS zu bekommen. Aber um diese Mittel zu erhalten, musste die Ausschreibung leider noch einmal wiederholt werden, so dass der Prozess viel länger, als ursprünglich geplant, dauerte.
Mario C. Birr: Mit unserem externen Berater, Herrn Dünkel, wurden die Kriterien für die Ausschreibung definiert und die Leistungsbeschreibung veröffentlicht. Unsere Zielvorstellung lag vor allem in der Erweiterung der Mobilität und dem damit höheren Bedienkomfort für unsere Anwender:innen. Die Firma Dedalus hat diese Ausschreibung gewonnen. Das KIS Orbis konnte mit seiner neuen Oberfläche, genannt Orbis-U (U steht für useability = Anwenderfreundlichkeit), im HTML5 Design überzeugen. HTML 5 bedeutet eine browserunabhängige Ansicht der Oberflächen, die auf allen Geräten gleich dargestellt wird. Konkret bedeutet dies für die Endanwender:innen immer die gleiche Ansicht, egal ob sie auf dem PC, dem Tablet oder dem Smartphone arbeiten.
„Wir benötigen die Mitarbeit von vielen Kolleg:innen aus allen Fachabteilungen. Nur so erhalten wir ein System, das auch wirklich an uns angepasst ist und möglichst optimal für unsere Einrichtung funktioniert.“
THEO: Was bedeutet die Umsetzung und Einführung eines neuen KIS in einer Einrichtung wie der Klinik mit ca. 480 Mitarbeitenden, die täglich damit arbeiten und auch darauf angewiesen sind? Welche Dimension nimmt die Umsetzung eines so wichtigen Tools an?
Alexander Heidemann: Wir hatten zu Projektbeginn mit der Firma Dedalus für die Implementierung bereits weit über 300 Termine vereinbart, um die Einführung zum 03.07.2023 realisieren zu können. Auch wenn das Dedalus KIS Orbis in fast allen Bereichen Empfehlungen zur Umsetzung und Integration gibt, so benötigen wir doch die Mitarbeit von vielen Kolleg:innen aus allen Fachabteilungen. Nur so erhalten wir ein System, das auch wirklich an uns angepasst ist und möglichst optimal für unsere Einrichtung funktioniert. Aus diesem Grund sind die Arbeiten in den Teilprojektgruppen so wichtig. Bildlich gesprochen kann man sich vorstellen, dass jede Teilprojektgruppe einen Teil eines größeren Puzzles erstellt und am Ende alle Teile zu einem harmonischen Ganzen zusammenpassen müssen.
THEO: Ihr vier stellt die Projektsteuerungsgruppe. Für die Umsetzung dieses umfassenden Projekts bedarf es aber mehr beteiligte Personen in den verschiedenen Abteilungen, weshalb ihr die Teilprojektgruppen gegründet habt. Wer unterstützt euch bei der Einführung des neuen Programms und wie wurden diese Personen ausgewählt?
Mario C. Birr: Wir als Projektsteuerungsgruppe haben uns sehr lange Gedanken darüber gemacht, wie wir die KIS-Umstellung bei uns in der Klinik organisieren können. Das war keine leichte Aufgabe. Jeder Bereich – von der Aufnahme bis zur Entlassung und Abrechnung – wird im KIS dokumentiert. Also benötigen wir aus allen Bereichen Unterstützung.
Madeleine Klimczak: 14 Teilprojektgruppen mussten mit Teilprojektleiter:innen / -mitgliedern, Expert:innen und Steuerungsgremien definiert werden. Dabei berücksichtigten wir z. B. die zeitliche Verfügbarkeit und Erfahrung. In Abstimmung mit der Geschäftsführung und dem Klinikdirektorium wurden alle Beteiligten angesprochen und wir sind sehr froh, dass wir alle für das Projekt gewonnen haben. Zur besseren Übersicht haben wir dazu ein Organigramm (zu finden im Intranet unter der Dok.-Nummer: 21110) erstellt. Dort sind alle Projektmitglieder aufgelistet.
Alexander Heidemann: Aufgabe der Teilprojektleiter:innen ist es, den Standard von Dedalus für uns zu prüfen. Wenn Abweichungen erforderlich sind, muss ein Sollkonzept der Teilprojektleitung erstellt und mit der Projektleitung – Fr. Klimczak und mir – besprochen werden. Im Anschluss werden diese Anpassungen übergeordnet in der Projektsteuerungsgruppe (TWW und Fa. Dedalus) lösungsorientiert diskutiert. Die finale Entscheidung zur Anpassung wird letztendlich im Projektvorstand getroffen.
THEO: Seit wann arbeitet ihr an der Planung und wie sieht der Zeitplan aus, vom ersten Tag der Installation bis zum Abschluss des Projekts?
M. C. Birr: Wie bereits erwähnt, haben wir einen langen Ausschreibungsprozess hinter uns. Während dieser Zeit haben wir uns intensiv damit auseinandergesetzt, welche zukünftigen Funktionalitäten wir benötigen und diese in den Vertragsverhandlungen mit dem Anbieter vereinbart. Die Planungen zielten dabei darauf ab, bis Ende 2024 alle KHZG förderfähigen Tatbestände zu realisieren. Dazu zählen u. a. die sprachgesteuerte Navigation innerhalb der Software, die Einführung der Medikation und, besonders wichtig, die elektronische Abbildung des Pflegeprozessmanagements.
T. König: Die praktische Umsetzung begann für uns im Juli 2022 mit dem Scope-Meeting (die Vorstellung des Projektumfanges und die Organisation des Projektes). Wir erhielten einen Überblick über die Inhalte der Teilprojektgruppen und deren zeitlichen Verlauf. Uns war vorher schon klar, dass es einen großen organisatorischen Aufwand bedarf, aber nach dem Termin stellte es sich als noch umfangreicher heraus als vermutet. Denn viele Termine finden gleichzeitig statt und es gibt eine starke Verzahnung zwischen den einzelnen Teilprojekten.
Mario C. Birr: Herr König ist unser Experte im KIS medico. Damit hat er auch jetzt eine besonders wichtige Rolle während des KIS-Wechsels übertragen bekommen. Er ist in fast allen Teilprojekten als Teilprojektleiter, Mitglied oder Experte aktiv und behält damit den Überblick bei der operativen Umsetzung des Gesamtprojektes.
Alexander Heidemann: Ungeachtet dessen haben aber auch die Teilprojektleitungen eine wichtige Funktion, da sie ihr Teilprojekt inhaltlich vertreten müssen. Unterstützung erhalten sie dabei von ihren Teilprojektmitgliedern und von ausgewählten Experten. Letztere sind nicht die ganze Zeit in der Teilprojektgruppe vertreten, sondern werden nur zu speziellen Themen hinzugezogen.
Madeleine Klimczak: Die ersten Projektgruppen sind bereits im August 2022 gestartet. Die Teilprojektgruppen erarbeiten
ihre Ergebnisse bis Februar 2023, so dass im März 2023 der Integrationstest stattfinden kann. Nach zahlreichen Schulungen gehen wir am 03. Juli 2023 in den Echtbetrieb und das alte KIS wird abgelöst. Die erste Phase wird dann abgeschlossen sein.
THEO: So ein Programm ist ja nie wirklich fertig. Wie geht es nach dem Echtbetrieb weiter? Gibt es Zukunftspläne, wie das KIS in beispielsweise fünf Jahren genutzt werden soll?
Thomas König: Das KIS-Projekt ist aktuell in zwei Phasen unterteilt. Die erste Phase zielt auf die Wiederherstellung des Status-quo ab. Es wird aber auch schon einige neue Zusatzfunktionen geben, so dass der Umstieg als Fortschritt in die richtige Richtung wahrgenommen werden wird. Ab Mitte 2023 beginnt dann eine zweite Phase, in der die Digitalisierung weg von der Papiererfassung noch mehr in den Fokus rückt. Wie bereits ausgeführt, gehört dazu u. a. die digitale Abbildung des Pflegeprozesses, die digitale Fieberkurve oder die digitale Medikation.
Alexander Heidemann: Ein KIS kann und darf nie als erledigt angesehen werden. Neben den normalen Aktualisierungen gibt es auch immer wieder gesetzliche Änderungen, die eine Weiterentwicklung unabdingbar machen. Funktionen und Tools werden auf Sinnhaftigkeit und Bedarf geprüft und ggf. in das System integriert. Das KIS ist ein agiles Werkzeug, das sich immer wieder verändern und anpassen kann. Es ist abzusehen, dass es in Zukunft dahin gehen wird, dass sich das digitale Arbeiten immer mehr durchsetzen wird. Eines unserer wichtigsten Ziele ist daher die Einführung des mobilen Arbeitens. Nur wenn Informationen schnell verfügbar sind, ist auch eine schnelle und korrekte Reaktion möglich.
Mario C. Birr: Zukünftig sollen auch die Key-User verstärkt in den Weiterentwicklungsprozess eingebunden werden. Folglich wählen wir sie nicht nur bezogen auf den KIS-Wechsel aus. Dabei werden sie durch intensive Schulungen der Firma Dedalus optimal auf die Rolle vorbereitet. Nach Abschluss der ersten Phase sollen sie jedoch nicht nur ihre Kollegen:innen schulen und kleinere Probleme vor Ort lösen können, sondern auch zentrale Ansprechpartner:innen für zukünftige Weiterentwicklungswünsche im KIS sein.
„Ein KIS kann und darf nie als erledigt angesehen werden. […] Das KIS ist ein agiles Werkzeug, das sich immer wieder verändern und anpassen kann.“
THEO: Hat Dedalus Erfahrung mit Kliniken unseres Leistungsspektrums? Seid ihr zufrieden mit der bisherigen Zusammenarbeit?
Madeleine Klimczak: Wir sind bisher sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit mit der Firma Dedalus. Das Unternehmen ist weltweit in über 6.100 Krankenhäusern sowie 5.300 Laboren tätig. Sie verfügen über 6.000 Mitarbeitende und sind umfangreich in psychiatrischen, psychosomatischen und neurologischen Kliniken vertreten. Mit unseren Ansprechpartnern von Dedalus, Herrn Heinroth und Herrn Seidel, stehen uns sehr erfahrene Projektleiter zur Seite. Beide sind seit über zehn Jahren in der Firma tätig und haben mehrere KIS-Wechsel in verschiedenen Kliniken in Deutschland vorgenommen. Unterstützt werden die beiden von ihren 22 Teilprojektleiter:innen, die uns durch die 14 Teilprojekte lenken und den Aufwand für alle so gering wie möglich halten.
Alexander Heidemann: Aber auch wir konnten bisher überzeugen. Die Firma Dedalus ist beeindruckt von der Klarheit und dem Engagement unserer Projektmitglieder. Es ist ein sehr großes Projekt und nicht immer wird alles gut laufen. Davon gehen wir aus. Aber auch jetzt zeigt sich schon, wie toll die Kolleg:innen in den Bereichen zusammenarbeiten und sich alle auf das neue KIS freuen.
THEO: Digitale Produkte versprechen ja oft, die Arbeit zu erleichtern, sodass das Personal u.a. mehr Zeit für den/die Patient:in hat. Was versprecht ihr euch von dem neuen KIS?
Thomas König: In der ersten Phase bis zum 03. Juli 2023 soll der aktuelle Status-quo wiederhergestellt werden. Alles was sich aktuell im KIS medico befindet, wird in Orbis angepasst und sogar verbessert. Aber nicht nur das! Wir werden auch neue Module wie z. B. das Infektionsmanagement etablieren und die Orbis-U-Oberfläche wird eine einheitliche Darstellung auf allen Geräten bieten.
Alexander Heidemann: Aktuell werden leider noch nicht alle Funktionen auf der Orbis-U-Oberfläche abgebildet.
In vielen Bereichen werden wir noch mit der alten Oberfläche arbeiten. Die sukzessive Umstellung auf die Orbis-U-Oberfläche erfolgt, sobald das jeweilige Modul verfügbar ist. Mit der Umstellung auf Orbis-U können Tablets und Smartphones in den Arbeitsalltag integriert werden. Damit wird zukünftig die Erfassung am Patienten und die Kommunikation erleichtert.
Mario C. Birr: Von dem digitalen Patientenarchiv, der schrittweisen Implementierung von mobilen Endgeräten und den geplanten Erweiterungen in der zweiten Phase versprechen wir uns echte Erleichterung für unsere Mitarbeitenden. Aktuell ist es doch so, dass ein Teil der Information in Papierform und ein Teil digital vorliegt. Es ist schon längst nicht mehr zeitgemäß, sich darüber Gedanken machen zu müssen, ob relevante Informationen in der Akte oder im KIS stehen. Ein zentrales Ziel ist es daher, alle Daten zentral im KIS einsehen bzw. bearbeiten und zeitgemäß auf diese zurückgreifen zu können. Dies alles wird zwangsläufig einen positiven Einfluss auf bestehende
Strukturen und Prozesse haben.
THEO: Ein neues System bedeutet auch immer neue Anforderungen. Wie werden die Mitarbeitenden auf das neue Programm vorbereitet? Wird es Schulungen geben?
Madeleine Klimczak: Die Mitglieder der einzelnen Projektgruppen werden bereits in den Arbeitskreisen mit dem neuen KIS vertraut gemacht. Sie erarbeiten die neuen Abläufe und Strukturen des zukünftigen KIS. Ab April 2023 werden die Schulungen der Key-User und Endanwender stattfinden. Das erfordert einen großen Organisationsaufwand. Der EDV Schulungsraum wird bis dahin mit der entsprechenden Technik ausgestattet sein. Die Ärzte und Key-User erhalten eine direkte Schulung von Dedalus. Alle anderen Bereiche werden von den ausgebildeten Key-Usern eingewiesen. In der ersten Woche mit dem neuen KIS werden Spezialisten von Dedalus bei uns sein und uns unterstützen.
THEO: Noch eine letzte Frage. Wenn Mitarbeiter:innen Fragen zum Thema KIS haben, an wen dürfen Sie sich wenden?
Mario C. Birr: Bei inhaltlichen Fragen, Anmerkungen oder Problemen rund um das Thema KIS sind Frau Klimczak und Herr Heidemann als Projektleitung stets die erste Instanz und direkt ansprechbar. Dies gilt nicht nur für unsere Teilprojektleitungen/-mitglieder oder Expert:innen. Es gilt ebenso für Interessierte, z. B. für Mitarbeitende, die zukünftig die Rolle als Key-User wahrnehmen möchten.
THEO: Vielen Dank für das ausführliche Interview zur Einführung des neuen KIS und weiterhin viel Erfolg bei der Umsetzung.