News

Anwältin für die Verkannten

Es gibt sie in Deutschland seit über 15 Jahren, dennoch ist ihre Zahl mit rund 200 verhältnismäßig gering: Parkinson Nurses. Die speziell ausgebildeten Pflegenden betreuen Patienten, die an der komplexen neurodegenerativen Erkrankung leiden. Uta Stein ist eine von ihnen. Was ihre Arbeit ausmacht, lesen Sie hier.

von Kristina Mohr

11.04.2022 | News
Aufgeschlagene Seite des Artikels über Parkinson Nurse Uta Stein

„Das stinkt aber nach Fisch!“, entfährt es dem älteren Herrn im roten Pullover angewidert. Uta Stein lächelt zustimmend und reicht dem immer noch naserümpfenden Senioren einen weiteren Riechstift. Vorsichtig schnüffelt er daran. „Was riechen Sie jetzt?“, fragt sie. „Ist es Kaffee, Kerzenrauch, Wein oder Schuhleder?“ Diesmal dauert es länger, bis der Patient zögerlich antwortet: „Vielleicht Kaffee?“ Freundlich lächelnd notiert die Pflegende etwas auf ihrem Zettel und greift zu einem weiteren Riechstift.

Uta Stein ist Pflegerische Leitung und Parkinson Nurse auf der Neurologischen Station der Kliniken im Theodor Wenzel Werk e. V. in Berlin-Zehlendorf. Den Riechtest mithilfe von 12 Duftstiften führt sie durch, wenn der Verdacht auf Parkinson bei einem Patienten besteht. „Eine Riechstörung kann ein Hinweis auf eine Parkinson-Erkrankung sein“, erklärt Stein. „Die geminderte Geruchswahrnehmung beginnt bereits viele Jahre, bevor motorische Auffälligkeiten auftreten.“

Komplexe Krankheit

Die Pflegende, die ihr Examen noch kurz vor der Wende in der DDR ablegte, ist seit 2014 ausgebildete Parkinson Nurse. Diese Weiterbildung wird einmal im Jahr von der Deutschen Parkinson-Gesellschaft (DPG), der deutschen Parkinson-Vereinigung (dPV) und dem Kompetenznetz Parkinson (KNP) angeboten. Sie geht über 12 Monate und richtet sich an Pflegende aus spezialisierten Fachkliniken oder der Altenpflege. „Wir hatten mehrere Wochenendseminare in verschiedenen Spezialkliniken, etwa in Marburg, Kassel oder München“, berichtet Stein. Zudem habe sie 14 Tage in einer Fachklinik hospitiert. Teil der Abschlussprüfung sei neben einer Klausur auch der Nachweis von 30 Pflegeplanungen zu unterschiedlichen Aspekten des Krankheitsbildes. Vor ihrer Weiterbildung hat Uta Stein nur den „typischen“ Morbus Parkinson gekannt, mit Zittern, verlangsamter Bewegung und Steifheit. „Durch die Weiterbildung habe ich mir ein umfangreiches Wissen zu dieser Thematik aneignen können und gelernt, wie vielseitig und dennoch speziell Parkinson sein kann“, berichtet sie weiter. Außerdem hat sie viele Therapiemöglichkeiten wie beispielsweise Pumpensysteme oder die tiefe Hirnstimulation (THS), bei der Elektroden im Gehirn bestimmte Nervenareale stimulieren, kennengelernt und selbst bei der Implantation eines Hirnschrittmachers hospitiert.

Wechselndes Verhalten

„Mein Blick auf die Krankheit hat sich durch die Weiterbildung sehr verändert“, so Stein. „Ich weiß jetzt, warum ein Parkinson-Patient so ist, wie er ist, und habe dadurch ein ganz besonderes Verständnis für ihn und seine Situation.“ Gerade bei Parkinson sei dies sehr wichtig, da Betroffene leicht verkannt oder fälschlicherweise als dement abgestempelt würden. „Ohne Fachwissen über die Hinter-gründe ist es schwer zu verstehen, warum sich ein Patient einmal gar nicht bewegen kann und wenige Minuten später selbstständig über den Flur läuft.“ Es heißt dann schnell: „Der macht nicht mit“ oder „Der ist dement“, wenn die Antwort eines Patienten auf sich warten lässt. Verantwortlich für das wechselnde Verhalten ist der Botenstoff Dopamin, der bei Parkinson-Patienten im Gehirn nicht in ausreichender Menge gebildet wird. In der Folge ist die Reizübertragung der Nerven gestört. Medikamente können den Mangel teilweise ausgleichen, erfordern jedoch eine regelmäßige Einnahme, die sich nach den Mahlzeiten richtet. „Parkinson-Medikamente müssen immer eine halbe Stunde vor oder eine Stunde nach dem Essen eingenommen werden und nicht zusammen mit Milchprodukten“, erläutert Uta Stein.

Der Zeitpunkt ist wichtig

Diese Zusammenhänge vermittelt die Pflegende, die seit 5 Jahren Stationsleitung ist, auch ihrem Team: „Ich beobachte, dass Parkinson-Betroffene bei uns sehr viel mehr Zeit bekommen , um Dinge selbstständig zu tun.“ Früher sei es schon vorgekommen, dass Pflegende während der Grundpflege Dinge einfach übernommen hätten, um schneller fertig zu sein. Heute bezieht das Team den Zeitpunkt der Medikamentengabe in den Tagesablauf mit ein und wartet z. B. mit der pflegerischen Versorgung, bis die Wirkung eintritt.

Bei Parkinson-Erkrankten können wir mit guter Beratung viel erreichen.

Interdisziplinär betreuen

Den Anstoß zu Uta Steins Weiterbildung zur Parkinson Nurse gab das Vorhaben der Klinikleitung, auf der neurologischen Station zwei neue Behandlungsschwerpunkte zu setzen, einer davon Parkinson. Steins damalige PDL schlug ihr deshalb vor, sich für die Ausbildung zur Parkinson Nurse zu bewerben. Die Pflegende empfand die Weiterbildung als regelrechte Explosion: „Ich war total begeistert und habe mich auf diesem Gebiet ein bisschen wie ein Pionier gefühlt, da es in meiner Abteilung bis dato nur wenig Spezialkenntnisse gab“, erinnert sie sich. Heute sind auf ihrer neurologischen 40-Betten-Station etwa 40 Prozent der Patienten Parkinson-Betroffene. Viele von ihnen bleiben für 3 Wochen im Rahmen eines „Komplexprogramms“. Zu dem gehört eine umfangreiche interdisziplinäre Betreuung durch Ärzte, Pflegende und Krankengymnasten sowie Logopäden, Ergotherapeuten und Psychologen. Dieser lange, intensive Therapiezeitraum zahle sich für viele Betroffene aus: „Für mich ist es immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie sich der Zustand eines Patienten verbessert“, attestiert Stein.

Hilfsmittel zur Selbsthilfe

In ihrer Funktion als Parkinson Nurse und Stationsleitung organisiert sie den Ablauf des Programms, plant die Bettenbelegung und kontrolliert die Dokumentation. Aber sie ist auch ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, ihre Patienten noch besser zu unterstützen: So hat sie Bewegungsprotokolle eingeführt, um eine optimale Medikamentenanpassung zu ermöglichen, und die Station mit Informationsmaterialien in zahlreichen Sprachen aus-gestattet. Im vergangenen Jahr veranlasste sie den Kauf von Spezialmatratzen, die das selbst-ständige Drehen und Aufstehen unterstützen. Um Betroffenen das oft so schwierige Los laufen zu erleichtern, hat sie Anti-Freezing-Stöcke angeschafft. Bei diesen aktiviert ein Knopf am Griff einen Laserstrahl, über den der Patient dann „hinwegsteigt“, wodurch die Bewegungsblockade gelöst wird. Auch Spezialbesteck gibt es auf ihrer Station. Wenn nämlich durch den Tremor beim Essen die Hände zittern, ist das vielen Patienten unangenehm. „Sie ziehen sich dann zurück“, berichtet Stein. „Das Tremor-Besteck gleicht die Bewegung aus, sodass die Patienten wieder selbstständiger essen können.“

Besondere Patienten

Von ihrem Arbeitgeber erfährt Stein große Unterstützung. „Die Klinik ist bei der Anschaffung sehr patientenorientiert und fördert die Eigeninitiative der Mitarbeiter“, sagt sie. Das Engagement von Uta Stein endet jedoch nicht am Klinikausgang. In ihrer Freizeit leitet sie eine Selbsthilfegruppe in Brandenburg. „Die Parkinson-Patienten liegen mir sehr am Herzen, irgendwie habe ich einen besonderen Bezug zu ihnen“, lächelt sie und ergänzt: „Ich finde, das sind immer super sympathische und vor allem dankbare Patienten.“

Quelle: CNE.magazin 1.22 | © 2022. Thieme. All rights reserved.