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„Sie sind doch Psychologin. Darf ich mal eine Frage stellen?“

Dr. Sabine Hoffmann über das Angebot der Psychologischen kollegialen ersten Hilfe für Mitarbeitende im Theodor-Wenzel-Werk

09.09.2022 | Allgemein
Portrait von Sabine Hoffmann

„Sie sind doch Psychologin. Hätten Sie kurz Zeit? Darf ich mal eine Frage stellen?“…so begann vor über 20 Jahren die kollegiale Beratung in den Abteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie, durch ein spontanes Klopfen an meiner Tür, durch Ansprache auf dem Flur.

Natürlich hatte ich die Zeit. So wurden Themen wie Studienwünsche der Kinder („Meine Tochter möchte Psychologie studieren! Was muss sie dafür tun?“), aber auch persönliche Lebenssituationen, Belastungsmomente oder Symptome vertrauensvoll an mich herangetragen („Vielleicht sollte ich mal mit jemandem darüber sprechen. Was meinen Sie, brauche ich vielleicht eine Therapie?“)

In den meist einmaligen Gesprächskontakten ging es schon immer um „das offene Ohr“, Beziehung und Anteilnahme, um fachliche Beratung bei Symptomen oder Unterstützung in einer Entscheidungsfindung. Im kurzen „Boxenstopp“ im Arbeitsalltag rollen schnell mal die Tränen, schnell trocknen sie aber wieder auch.

Im kollegialen Gespräch wird darin unterstützt, eigene Gefühle und Bedürfnisse wieder deutlicher erkennen zu können, zu formulieren und im besten Fall auch in kleinen Schritten Konsequenzen für sich oder für andere folgen lassen zu können.

„Habe ich etwas übersehen…etwas falsch gemacht…ich grübele die halbe Nacht alles durch.“

Die Anliegen sind so vielfältig wie die Persönlichkeiten und Lebenssituationen der Kolleg:innen im TWW. Es gibt jedoch einen gemeinsamen Nenner: Stresserleben aus verschiedenen Gründen und damit die Notwendigkeit zur Selbstfürsorge, die sich natürlich sowohl auf den Beruf als auch auf das Privatleben bezieht.

In der ungünstigen Stressverarbeitung häufen sich oftmals Gedanken als Entfremdung von der Arbeit, Selbstwertprobleme oder Schuldzuweisungen sich selbst gegenüber. Gefühle werden oftmals immer schlechter wahrgenommen, es kann zum Rückzugsverhalten im Team kommen oder zu einem überkompensatorischen Arbeiten „mit Scheuklappen“. Körperlich reagieren wir mit einer Antriebs- und Leistungsminderung oder undifferenzierten Beschwerden wie Schlafstörungen, innerer Unruhe, Abgeschlagenheit, Rücken- oder Kopfschmerzen.

Psychisch und damit auch körperlich über das vegetative Nervensystem belastende Situationen können z.B. sein: psychiatrische und medizinische Notfälle, verbale oder tätliche Übergriffe, Brand, das Auffinden von Patient:innen nach Selbstverletzungen, Suizidversuchen oder vollzogenen Suiziden, Personalknappheit und die Thematik rund um Corona.

Vor einigen Jahren wurde das Verfahren der „Psychologischen kollegialen ersten Hilfe“ als niederschwelliges Angebot offiziell eingeführt. Im Durchschnitt nutzen 3-4 Kolleg:innen im Monat diese spontan oder auf Empfehlung der Kolleg:innen, Vorgesetzten, MAV etc. durchgeführten Gesprächsmöglichkeit mit mir, Dr. Sabine Hoffmann, mit Dipl.-Psych. Peter Schuster oder Dr. Alexander Kohl.

Nur nach Wunsch und Bedarf wird die Schweigepflicht auf Gremien des Gesundheitsmanagements am TWW erweitert:

  • Betriebsärztin Frau Dr. Miriam Lenz-Molliné
  • AGG Beschwerdestelle gegen sexualisierte Gewalt
  • Mitarbeitervertretung (MAV)
  • Suchtpräventionsstelle mit der Suchtbeauftragten Dipl.-Psych. Gabriela Roth. 

 „Ich kann nach der Arbeit einfach nichts mehr unternehmen, liege nur noch platt auf dem Sofa“

Checkliste im Stil eines Notizzettels

Das Ziel der Psychologischen kollegialen ersten Hilfe ist nicht Psychotherapie!

Psychisch gesunde Arbeitnehmer*innen, die vorübergehend in eine Belastungsreaktion geraten sind, werden in der Wiederherstellung ihrer Handlungsfähigkeit unterstützt. Das Ziel ist die Befähigung zur Selbstfürsorge nach Akut- und Belastungssituationen sowie die Feststellung einer weiteren Behandlungsbedürftigkeit oder möglichen Nachfolgewirkungen. Letztere sollen erkannt und frühzeitig durch psychologische Gegenregulationsmaßnahmen gelindert werden. Professionell durchgeführte Krisenintervention und angemessene Unterstützung kann seelisches Leid wirksam reduzieren, gegebenenfalls erfolgt auf Wunsch die Unterstützung bei der Suche nach niedergelassenen Psychotherapeut:innen.

Was geschieht denn eigentlich bei der Kollegialen Psychologischen Ersten Hilfe?

Kein „Debriefing“, es wird nicht genau gefragt, was geschehen ist, es sei denn, jemand möchte es berichten. Es geht nicht um therapeutische Interventionen! Anstelle einer Diagnose geben wir Informationen über den möglichen Zusammenhang zwischen dem belastenden Erlebnis und den Folgewirkungen im Körper als akute Belastungsreaktion.

Überschriften reichen. Manche möchten auch schweigen.

„Was empfinden Sie gerade als „das Schlimmste“? – Ein Bild? Ein Wort? Ein Gefühl? Gedanken hinsichtlich Verantwortung und Schuld? Die Reaktion der Anderen? Ihre Reaktion des autonomen Nervensystems mit Zittern, Taubheitsgefühl, Schwindel, Weinen etc.?

Entsprechend individuell kann die Unterstützung ausehen: Ein Glas Wasser, eine Therapieweste als beruhigendes Gewicht um die Schultern gelegt. Zu unruhig? Angespannt? Dann überlegen wir andere Möglichkeiten, den Körper und die Gefühle positiv zu beeinflussen. Im Gespräch werden die Grundbedürfnisse wie Autonomie, Kontrolle, Orientierung, Selbstwertschutz hervorgehoben.

„Keine Ahnung mehr, was ich brauche, ich spüre mich irgendwie nicht mehr!“

Bestehende Ressourcen („was funktioniert noch – trotz des großen Schreckens“) werden gezielt hervorgehoben. Weiterarbeiten oder nach Hause gehen? Manche stabilisieren sich am Besten, wenn sie nach einer Belastungssituation im kollegialen Team bleiben. Andere sollten nach dem D-Arzt sofort nach Hause.

Selbstfürsorge ist kein Egoismus. Denn wenn wir uns nicht um uns selbst kümmern, haben wir irgendwann nichts mehr zu geben. Geben Sie somit vor allem in solch schwierigen Zeiten auf sich Acht.

Alles Gute,
Ihre Sabine Hoffmann

Kontakt

Dr. rer. nat. Sabine Hoffmann

Leitende Psychologin

  • Psychologische Psychotherapeutin
  • Lehrtherapeutin und Supervisorin (VT)
  • Klinische Organisationspsychologin
  • Fachkunde Gruppenpsychotherapie
  • Weiterbildung EMDR und Schematherapie
  • Zertifikat Notfallpsychologie der Traumaambulanz des Landes Berlin
  • zugelassen im Psychotherapeutenverfahren der DGUV

Tel. (030) 81 09 – 11 58
sabine.hoffmann@tww-berlin.de

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