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Volkskrankheit Depression

Eine schwere Last für Seele und Körper
Ein Artikel des Tagesspiegel – Die medizinische Expertise zu diesem Text kam von Dr. Kirsten Suttorp, Chefärztin der Abteilung für Psychosomatik.

10.10.2023 | Allgemein

Die Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen und kann jeden treffen – unabhängig von Beruf, Alter oder Herkunft. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind mehr als acht Prozent der 18- bis 79-Jährigen im Laufe eines Jahres an einer depressiven Störung erkrankt – das sind mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland.

Frauen wird die Diagnose etwa doppelt so häufig gestellt wie Männern – das heißt allerdings nicht zwangsläufig, dass Männer seltener erkranken. Möglich ist auch, dass das vermeintlich starke Geschlecht seltener Hilfe sucht, vielleicht aus einer bewussten Entscheidung heraus, vielleicht auch, weil eine Depression nicht in das eigene Selbstbild passt.

Die Depression kann viele Gesichter haben

Erschwerend hinzu kommt, dass die Diagnostik mitunter nicht einfach ist. Denn eine Depression lässt sich nicht immer auf den ersten Blick erkennen, weil ihre Symptome von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sind. Warnsignale können anhaltende Traurigkeit, permanentes Grübeln, Schuldgefühle oder Versagensängste sein. Auch ein Mangel an Interesse oder Konzentrationsstörungen sind möglich.

Eine Depression kann sich ebenso in körperlichen Beschwerden zeigen, beispielsweise in Form von Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder einem übermäßigen Schlafbedürfnis. Auch Herzbeschwer-den, Libidoverlust, Appetitlosigkeit und gesteigertes Verlangen nach Essen sind mögliche Hinweise auf eine Depression. Meist treten psychische und körperliche Symptome zusammen auf.

Weil eine Depression nicht immer frühzeitig als solche erkannt wird und auch weil der Erkrankung mitunter immer noch ein Stigma anhaftet, suchen viele Betroffene erst spät professionelle Hilfe – und verlängern dadurch unnötig ihr Leiden.

Je früher eine Depression therapiert wird, desto besser sind die Heilungschancen. Eine Depression kann im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden und sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden: Zehn bis 15 Prozent der Betroffenen begehen Suizid. Die gute Nachricht: Depressionen sind in vielen Fällen mithilfe einer Psychotherapie und mitunter auch mit Medikamenten gut behandelbar.

Die Krankheit braucht nicht immer einen speziellen Auslöser

Eine Depression lässt sich nur selten auf eine einzige Ursache oder ein einzelnes biografisches Ereignis zurückführen. Auslöser können Familienprobleme, Trennungsschmerz oder finanzielle Sorgen sein. Es muss aber nicht immer ein traumatisches Ereignis oder der Verlust eines geliebten Menschen sein, der zum Ausbruch der Erkrankung führt. Oftmals bricht sie in einen bis dahin gut funktionierenden Alltag ein.

Experten gehen davon aus, dass die Persönlichkeitsstruktur eine wichtige Rolle beim Entstehen der Krankheit spielt: Wie geht ein Mensch mit einschneidenden Erfahrungen wie dem Bruch mit einer wichtigen Bezugsperson oder dem Verlust eines Glaubenssatzes um? Kann er seine Bedürfnisse artikulieren – auch dann, wenn er negative Reaktionen seiner Mitmenschen fürchtet?

Fehlen dem Betroffenen die individuellen Ressourcen, Konflikte aufzulösen oder zumindest zu bearbeiten, kann das eine Depression befördern. Aufgrund familiärer Häufungen ist auch eine genetische Komponente wahrscheinlich. Das Risiko eines Rückfalls, also nach überstandener Krankheit erneut an einer Depression zu er-kranken, ist vergleichsweise hoch.

Eine Depression wird individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen und belastet womöglich sowohl psychisch als auch körperlich stark. Manche Betroffene fühlen eine innere Leere und Sinnlosigkeit, haben das Gefühl, ihr Leben in eine Sackgasse manövriert zu haben. Oft berichten sie über Antriebslosigkeit und Traurigkeit. Sie klagen darüber, ständig müde zu sein und die Freude selbst an schönen Dingen verloren zu haben. Sie werden von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen geplagt. Schwere depressive Störungen können auch psychotische Symptome wie Wahnvorstellungen oder Halluzinationen hervorrufen.

Sport ist ein natürliches Antidepressivum

Vor der Diagnose führen Psychotherapeuten oder Psychiater ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten. Im Rahmen dieser sogenannten Anamnese erkundigen sie sich beispielsweise nach biografischen Ereignissen, dem Lebensstil und der Kranken- und Familiengeschichte. Außerdem werden psychische und körperliche Beschwerden besprochen. Auch Tests in Form spezieller Fragebögen kommen zum Einsatz.

Die Therapie einer Depression richtet sich nach der Schwere der Symptome. Bei Patienten mit einer leichteren Ausprägung helfen oft bereits ambulante Psychotherapien in Einzel- oder Gruppen-form. In Selbsthilfegruppen tauschen sich Betroffene mit anderen krisenerfahrenen Menschen aus – das Wissen darum, dass man mit seiner Erkrankung nicht allein ist, kann dabei ungemein befreiend sein.

Bei mittelschweren, schweren oder chronischen Depressionen raten Experten zu einer stationären oder teilstationären Behandlung in einer psychosomatischen oder psychiatrischen Klinik. Eine engmaschige Betreuung ist insbesondere nötig, wenn der erkrankte Mensch suizidgefährdet ist.

Psychotherapeutische Kliniken kombinieren in der Regel mehrere, sich ergänzende Therapien. In der Psychotherapie greifen die Behandler vor allem auf tiefenpsychologische und verhaltenstherapeutische Verfahren zurück. Ergänzend zur Gesprächspsychotherapie werden oft auch Kunst-, Musik- oder Körpertherapie angeboten. Sporttherapie verbessert nicht nur Koordination und Kondition, sondern fördert auch die Ausschüttung körpereigener Endorphine – und hat damit einen ähnlich aktivierenden Effekt wie Antidepressiva.

Gerade bei schwereren Formen der Depression wird eine Psychotherapie jedoch oft erst durch die Gabe von Medikamenten möglich. Meist handelt es sich dabei um die erwähnten Antidepressiva. Sie wirken stimmungsaufhellend, antriebssteigernd und beruhigend. Während Medikamente für ein Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn sorgen, bietet sich den Betroffenen die Chance, sich auf ihre Behandlung zu fokussieren. Um den Erfolg zu festigen, kann nach einer stationären Therapie eine weitere ambulante Therapie oder eine Behandlung in einer Tagesklinik sinnvoll sein. Auch eine anschließende Rehabilitationsbehandlung ist oft hilfreich.