Forschung

Studie zur Genesungsbegleitung im TWW

Vorstellung zweier Projektgruppen zur Implementierung und Wirkung der Genesungsbegleitung

06.04.2023 | Forschung

Bereits seit 2020 arbeiten Genesungsbegleiter:innen auf den psychiatrischen Akutstationen der Klinik. Seither wird das Team der Genesungsbegleiter:innen sukzessive vergrößert und auch auf den allgemein- und gerontopsychiatrischen Stationen werden Kolleg:innen eingestellt. Um die Rahmenbedingungen und die Einarbeitung für die Genesungsbegleitung weiter zu professionalisieren, wurde zunächst eine qualitative Studie im Rahmen der Forschungsgruppe um Dr. Lieselotte Mahler durchgeführt, in der Wirkungen und Bedingungen für die Beschäftigung von Genesungsbegleitung in der Akutpsychiatrie genauer untersucht wurden. Nun wurde eine Projektgruppe gegründet, die sich in den kommenden Monaten mit der weiteren Implementierung von Genesungsbegleitung in der Psychiatrie des TWW befasst. Beide Projekte stellen wir im Folgenden etwas ausführlicher vor.

 

Projektgruppe: Implementierung von Genesungsbegleitung im TWW

Nachdem die Refinanzierung durch die Krankenkassen nach der neuen Personalrichtlinie PPP-RL gesichert werden konnte und die ersten sehr guten Erfahrungen mit den Genesungsbegleitenden in der Klinik gemacht wurden, ist mit der Geschäftsführung eine Aufstockung der Stellen auf insgesamt 10 VK beschlossen worden. Seit Oktober 2022 dürfen auf den psychiatrischen Stationen deshalb weitere Genesungsbegleitende eingestellt werden. Seit der Ausschreibung gab es bereits zahlreiche Bewerbungsgespräche und auch erste Einstellungen, sodass nun auf insgesamt sechs Stationen Genesungsbegleitende tätig sind und in den kommenden Monaten auch noch weitere eingestellt werden. Die Projektgruppe um Chefärztin Dr. Lieselotte Mahler, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistentin Anna Oster sowie den Pflegedirektor Michael Mattes trifft sich nun regelmäßig und erarbeitet unter anderem ein Einarbeitungskonzept, die Rahmenbedingungen wie feste Ansprechpartner:innen sowie Austausch- und Weiterbildungsmöglichkeiten für diese, Dokumentationsmöglichkeiten der Genesungsbegleitung, Verfügbarkeit von Budgets für Gruppenangebote und Ausflüge und vieles mehr. Um hier möglichst gut die Bedarfe der Genesungsbegleiter:innen selbst wie auch der Kolleg:innen aller anderen Berufsgruppen zu berücksichtigen, werden unter anderem die Ergebnisse der qualitativen Studie „Wirkung von Genesungsbegleitung in der Akutpsychiatrie“ einbezogen.

 

Forschungsprojekt: Wirkung von Genesungsbegleitung in der Akutpsychiatrie

Von Oktober 2022 bis Februar 2023 wurde im Rahmen der Masterarbeit von Celina Stolz eine qualitative Studie zur Genesungsbegleitung auf den beiden akutpsychiatrischen Stationen der Kliniken im TWW durchgeführt. Neben den vier Genesungsbegleitenden, die auf diesen Stationen tätig sind, erklärten sich auch vier Patient:innen sowie zwölf Mitarbeitende dieser Stationen zur Studienteilnahme bereit. Im Rahmen von Einzel- und Gruppeninterviews wurden sie zu Chancen und Herausforderungen für Genesungsbegleitende, der Wirkung von Genesungsbegleitung, insbesondere auch hinsichtlich Deeskalation und Reduktion von Zwang, sowie notwendigen Rahmenbedingungen für diese befragt. Die Interviews wurden transkribiert und systematisch analysiert, indem Aussagen zu übereinstimmenden Themen in Kategorien zusammengefügt wurden. Dabei konnten insgesamt neun Kategorien gebildet werden, von denen hier einige beschrieben werden sollen.

 

Rolle und Aufgabe von Genesungsbegleitenden

Als Aufgaben der Genesungsbegleitung wurden neben Hausbesuchen, Begleitung und der Unterstützung bei alltäglichen Anliegen vor allem das Teilen von Genesungserfahrung und Beziehungsarbeit genannt. Genesungsbegleitende schaffen aber auch ein zusätzliches Beschäftigungsangebot, entlasten insbesondere die pflegerischen Kolleg:innen und sind fest in alle Stationsabläufe wie beispielsweise Übergaben und Visiten integriert.

 

Wirkung der Genesungsbegleitung

Aus den Interviews ergab sich, dass die Genesungsbegleitenden eine Wirkung auf Patient:innen wie auch auf das multiprofessionelle Team haben. Die anderen Mitarbeitenden werden durch die Zusammenarbeit, und auch durch die in diesem Rahmen entstehenden Konfrontationen, für Stigmatisierungen sensibilisiert und in ihrer Einstellung zu individuellen Krankheits- und Genesungskonzepten gefördert. Das Team profitiert zudem von der Weitergabe wichtiger Informationen über Patient:innen, die Genesungsbegleitende im Kontakt erhalten. Zudem zeigte sich, dass Genesungsbegleitende oft eine vermittelnde Position zwischen Patient:innen und Team haben.

Patient:innen erleben durch die Genesungsbegleitenden mehr Verständnis und Vertrauen durch ähnliche Erfahrungen. Die Genesungsbegleitenden vermitteln Hoffnung und stärken die Selbstwirksamkeit der Patient:innen. Auch wird die Behandlung von den Patient:innen als menschlicher und authentischer erlebt, der Stationsalltag durch Aktivitäten normalisiert und soziale Kontakte auf der Station gefördert.

Durch Milieugestaltung und Schlichtung von Konflikten tragen Genesungsbegleitende darüber hinaus zur Deeskalation bei. Sie sind vermehrt für Bedürfnisse der Patient:innen ansprechbar und bieten zusätzliches Beschäftigungsprogramm, so dass Frustration reduziert wird. Zudem unterstützen Genesungsbegleitende die Kommunikation über stattgefundene Zwangsmaßnahmen.

 

Chancen und Herausforderungen

In der Auswertung zeigte sich, dass die Tätigkeit als Genesungsbegleitung verschiedene Chancen und Herausforderungen auch für Genesungsbegleitende mit sich bringt. Einerseits stellt die Tätigkeit eine berufliche Perspektive dar, steigert das Selbstbewusstsein, ermöglicht einen Perspektivwechsel und ist eine Chance zur Entstigmatisierung psychischer Krisen und zur Verbesserung der Versorgung auf akutpsychiatrischen Stationen. Andererseits sind Genesungsbegleitende auf akutpsychiatrischen Stationen auch mit vielen Herausforderungen konfrontiert, wie beispielsweise das Miterleben von Aggression und Zwang. Zudem ist die Tätigkeit eine Pionierarbeit. Viele organisatorische Unklarheiten sowie die Notwendigkeit, das neue Angebot aufzubauen und Kolleg:innen wie auch Patient:innen zu informieren, sind herausfordernd. Auch hat sich gezeigt, dass es noch Unsicherheiten über das Rollenverständnis der Genesungsbegleitenden gibt sowie teilweise damit einhergehende Konflikte mit dem Team.

Insgesamt zeigte sich im Rahmen der Studie, dass sich Probleme und Chancen häufig gegenüberstehen. Klare Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten wären hilfreich, andererseits ist aber die Flexibilität der große Vorteil der Genesungsbegleitenden. Auch ist es wichtig, dass die Genesungsbegleitenden Teil des Teams sind, gleichzeitig aber auch eine neue Perspektive einbringen, Stigmatisierungen ansprechen und festgefahrene Konzepte hinterfragen. Es wird deutlich, dass es ein Balance-Akt ist, wie stark Genesungsbegleitende in die bestehenden Stationsstrukturen eingebunden und ihre Arbeit durch äußere Rahmenbedingungen strukturiert werden soll, ohne dadurch die Freiheiten und Individualität ihrer Tätigkeit zu sehr einzuschränken.

 

Fazit

Die umfassenden Ergebnisse der qualitativen Studie geben einen guten Einblick in die Herausforderungen und Möglichkeiten der Arbeit mit Genesungsbegleitung auf psychiatrischen Stationen. Die verschiedenen Aspekte werden im Projekt „Implementierung von Genesungsbegleitung“ aufgegriffen und systematisch in die Strukturen der psychiatrischen Abteilung integriert. Insbesondere hinsichtlich der notwendigen Rahmenbedingungen, z.B. durch eine strukturierte Einarbeitung neuer Kolleg:innen, der  Festlegung der Aufgabenbereiche und Verantwortlichkeiten, die Benennung von zuständigen Ansprechpartner:innen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Zugang zum Dokumentationssystem, wird es in den nächsten Monaten Weiterentwicklungen geben.

Bereits jetzt machen die bisherigen praktischen Erfahrungen wie auch die Studie aber sehr deutlich, wie wichtig die Tätigkeit von Genesungsbegleiter:innen ist und dass diese Berufsgruppe nicht nur für Patient:innen, sondern auch für das multiprofessionelle Team eine Chance auf Weiterentwicklung und neue Perspektiven eröffnet. Wir freuen uns daher umso mehr, in den kommenden Monaten das Team der Genesungsbegleitung weiter zu vergrößern.