Haltung zeigen – gegen Stigmatisierung und Diskriminierung
Das TWW bewirbt sich um das Gütesiegel PRAXIS VIELFALT – für Entstigmatisierung und Diskriminierungsfreiheit für LGBTIQ+ und HIV positive Personen in der klinischen Versorgung.
Die drei Fachabteilungen der Kliniken im Theodor-Wenzel-Werk (TWW), die Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, die Abteilung für Psychosomatik und die Neurologie, setzen sich verstärkt für Diskriminierungsfreiheit und LGBTIQ*-Freundlichkeit ein und bewerben sich aus diesem Grund auf das Gütesiegel PRAXIS VIELFALT.
Mit dem PRAXIS VIELFALT-Gütesiegel zertifiziert die Deutsche AIDS-Hilfe „Arztpraxen und Versorgungseinrichtungen, die Menschen mit HIV sowie mit vielfältigen sexuellen, sprachlichen und kulturellen Hintergründen willkommen heißen, ihren Bedürfnissen gerecht werden und eine diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung sicherstellen“. Ursprünglich ist das Gütesiegel für Arztpraxen konzipiert worden, doch einzelne Kliniken ziehen bereits nach.
In den Kliniken im TWW wurde dafür ein multiprofessionelles Kernteam aus Mitarbeitenden aller Fachabteilungen zusammengestellt. In einer Auftaktveranstaltung am 25. Oktober 2021 mit der Leiterin der Deutschen Aidshilfe, Frau Gronski, wurde das Gütesiegel bereits genauer vorgestellt und das weitere Vorgehen abgestimmt.
Warum ist das Thema so hochrelevant – woher kommt es, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in solchem Maß gesellschaftlich und politisch diskutiert werden?
Tatsächlich zeigt sich, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als einziges gesellschaftliches Phänomen eine enge Verbindung zwischen Religion, Gesetz und Medizin schaffen. In der Vergangenheit wurden Homosexualität und Trans*Identität – ebenso wie andere nicht cis-hetero-normative Orientierungen und Identitäten – in der Medizin zur Krankheit, in der Religion zur Sünde und im Gesetz zum Verbrechen erklärt. In Deutschland haben sich zwar mittlerweile in allen drei Dimensionen überwiegend schützende und akzeptierende Haltungen etabliert. Mit entsprechenden gesetzlichen Regelungen, zuletzt der Ehe für alle im Jahr 2017 und dem Verbot von Konversionsverfahren seit 2020 sowie auf medizinischer Seite der Streichung entsprechender Diagnosen aus dem ICD 11 und der Entwicklung neuer S3-Leitlinien, sollen Schutz und Gleichberechtigung zunehmend fest in der Gesellschaft verankert werden.
Eine offene Auseinandersetzung und die proaktive Entwicklung neuer gleichberechtigender Strukturen sind notwendig.
Nur die Streichung von Diagnosen und die Verabschiedung von Gesetzen genügt aber nicht, um gesellschaftliche Haltungen und strukturell verankerte und internalisierte Diskriminierung zu verhindern. Vielmehr sind eine offene Auseinandersetzung und die proaktive Entwicklung neuer gleichberechtigender Strukturen notwendig.
Genauso wichtig ist der leider noch immer stattfindende diskriminierende Umgang mit HIV positiven Menschen. So hat sich erfreulicherweise diesbezüglich in den letzten 30 Jahren schon viel verbessert, nicht zuletzt durch die sehr erfolgreiche und stetige Arbeit der Deutschen Aidshilfe. Im Alltag sind es jedoch häufig auch die scheinbar sehr kleinen Dinge, die eine Stigmatisierung verstärken. Ferner gibt es trotz aller Aufklärung noch immer viele Unsicherheiten, wie mit Menschen mit HIV umgegangen werden soll.
Gerade in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung erlangt der Umgang mit den beschriebenen diskriminierenden und pathologisierenden Haltungen besondere Bedeutung.
Woran liegt das?
Die Therapiesituation zeichnet sich unter anderem durch eine besondere Vulnerabilität der betroffenen Personen aus, die eines geschützten und unvoreingenommenen Rahmens bedarf. Es ist mittlerweile vielfach belegt, dass LGBTIQ* Menschen sich psychotherapeutische Hilfe aus denselben Gründen suchen wie alle anderen. Die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sind nur selten von zentraler, gelegentlich von marginaler Bedeutung für die Therapie und dürfen daher nicht zum diagnostischen Kriterium gemacht werden. Diagnosen müssen in jedem Fall an klinisch relevanten Symptomen gestellt werden.
Als Besonderheit ist allerdings zu beachten, dass LGBTIQ*-Personen signifikant häufiger psychisch erkranken und folglich auch Unterstützungs- und Behandlungsangebote in Anspruch nehmen. Zu erklären ist dieser Umstand aber nicht über Unterschiede in der Psychopathologie, sondern z.B. über die verstärkte Diskriminierungserfahrung, internalisierte Homo-/Transphobie, Gefühle der Scham, die sich aus dem gesellschaftlichen Druck ergeben.
Wie können wir also vor diesem Hintergrund das TWW (noch mehr) als diskriminierungsfreies Umfeld gestalten? Wie kann gerade die Psychiatrie als Institution ihrer Verpflichtung im Schutz von Menschenrechten gerecht werden?
Das Gütesiegel PRAXIS VIELFALT ist ein erster Schritt, um mehr Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema zu richten und als Team ein gemeinsames Konzept zu entwickeln, mit dem das TWW (noch mehr) zum Schutzraum für Angehörige marginalisierter Gruppen werden kann.
An welchem Punkt befinden sich die Kliniken im TWW aktuell bei der Erreichung des Gütesiegels PRAXIS VIELFALT?
Um das Gütesiegel zu erreichen, gilt es, acht Module umzusetzen. Es beginnt mit der Evaluation in der Einstiegsphase und hat im weiteren Verlauf unter anderem die Gestaltung der Sprechzimmer und des Gesprächssettings, die Gestaltung der öffentlichen Räume und die Einrichtung von Unisextoiletten im Blick. E-Learning-Programme, Filme und Diskussionsforen und (Online-) Seminare runden den Prozess ab.
Die Deutsche Aidshilfe gibt bei der Umsetzung der Module keinen Zeitrahmen, keine Frist vor, aber wir haben uns vorgenommen, bis Ende 2022 alle Vorgaben umgesetzt zu haben und befinden uns dabei auf einem sehr guten Weg. Tatsächlich ist das Interesse dabei bei allen Berufsgruppen gleichermaßen sehr groß, die dazu stattfindenden Fortbildungen und Seminare sind voll besucht und die Bereitschaft zur Umsetzung hoch.
Wir freuen uns, Aufmerksamkeit auf dieses so wichtige Thema zu richten und die Vielfalt im TWW zu stärken. Denn: Wo wir sind ist bunt!